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aus: fr-online Frankfurter Rundschau 07. April 2016

Flüchtlingspolitik: Der dreckige Deal mit Marokko

Deutschland geht in der Flüchtlingspolitik zu sehr auf Marokko zu. Das hat fatale Folgen für den Westsahara-Konflikt. Ein Gastbeitrag von Bernd Eichner/medico international.

Die schmutzige Vereinbarung in einem Satz: Damit Deutschland zukünftig nach Marokko abschieben kann, müssen mehr als 100 000 Flüchtlinge aus der Westsahara weiter in der menschenfeindlichen Geröllwüste Algeriens bleiben. Als Gegenleistung zur Unterstützung der deutschen Abschottungs- und Abschiebepolitik, für die Innenminister Thomas de Maizière (CDU) jüngst nach Rabat reiste, konnte die marokkanische Seite politische Zugeständnisse im Westsaharakonflikt einfordern. Dahinter steckt auch ökonomisches Kalkül. Die Ausbeutung der Naturschätze in der besetzten Westsahara und ihrer Küstengewässer ist für Marokko lukrativ.

Das Land wehrt sich deshalb vehement gegen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Der hatte ein Agrar- und Fischereiabkommen zwischen dem Maghreb-Staat und der Europäischen Union (EU) auf Eis gelegt, weil es die Westsahara einbezog. Die Ausplünderung eines besetzten Gebietes durch die Besatzungsmacht ist jedoch eindeutig völkerrechtswidrig. Im Gegenzug für die Rücknahme von abgelehnten Asylbewerbern hat die Bundesregierung nun aber Marokko zugesagt, sich für die Rücknahme des Gerichtsbeschlusses einzusetzen.

Vor 40 Jahren flohen die Sahrauis vor den Phosphor- und Napalmbomben der marokkanischen Armee, die die ehemalige spanische Kolonie besetzte und die Einwohner vertrieb. Seitdem schwelt in der Westsahara der Konflikt zwischen Marokko und den Sahrauis, die für einen unabhängigen Staat kämpfen. Seit dem Waffenstillstand von 1991 aber gilt er als „eingefroren“. In Zeiten des globalen Katastrophenkapitalismus und entgrenzter Gewalt führt dies jedoch dazu, dass die kalte Krise zum Normalzustand und der Flüchtlingsstatus der Sahrauis zementiert werden.

Dort sind sie zwar in Sicherheit. Doch die vollständige Abhängigkeit von internationaler Hilfe und die Perspektivlosigkeit machen das Lagerleben immer unerträglicher. Dabei waren die Lager lange Zeit Orte des Aufbruches und der Hoffnung. Als selbstverwaltete Flüchtlingsrepublik im Exil dienen sie noch heute als Basis für die Demokratische Arabische Republik Sahara (Dars). Gleichzeitig sind sie ein Zeichen gegen das Vergessen. Die als antikoloniale und sozialistische Befreiungsbewegung gegründete Polisario betreibt dort eine Politik, die in der Region alles andere als selbstverständlich ist.

Vergessen und verkauft

Sahrauis steigen nicht in die Boote und schnallen sich keine Sprengstoffgürtel um. Sie achten das Völkerrecht. Statt eines Kalifats haben sie eine säkulare, demokratische Republik ausgerufen. Sie haben den bewaffneten Kampf gegen das Versprechen der Staatengemeinschaft eingetauscht, Selbstbestimmung auch im Rahmen des internationalen Rechts erreichen zu können. Die Folge von all dem? Sie werden vergessen und verkauft.

Sehr wohl aber registrieren die Sahrauis, dass die „neueren“ Krisenherde die ohnehin nie große internationale Aufmerksamkeit weiter verringert. Das wirkt sich unmittelbar aus. So werden die Finanzierungslücken beim UN-Flüchtlingshilfswerk und dem Welternährungsprogramm immer größer. Insgesamt sind die internationalen Hilfen laut Polisario um 40 Prozent zurückgegangen, im vergangenen Jahr wurden die Lebensmittelrationen gekürzt. Hinzu kommt, dass die EU die Besatzungsmacht Marokko aus ökonomischen und sicherheitspolitischen Interessen zunehmend als „privilegierten Partner“ hofiert.

Derart gestärkt setzt Marokko auf Eskalation. Auf seiner letzten Reise in die Region Anfang März wurde UN-Generalsekretär Ban Ki Moon nicht von König Mohammed VI. empfangen. Seinem Plan in die Westsahara zu reisen, erteilte Marokko eine Absage. Er musste sich mit einem Besuch in den sahrauischen Flüchtlingslagern zufrieden geben. In seiner Rede benutze Ban das Wort „Besatzung“ und versprach, eine Abstimmung über die Zukunft der Westsahara durchzuführen.

Marokko verwies daraufhin mehr als 80 zivile UN-Mitarbeiter des Landes, kündigte die Unterstützung der Blauhelme in der Westsahara auf und drohte damit, alle seine Soldaten aus anderen UN-Missionen abzuziehen. Mittlerweile scheint sogar ein neuer Krieg entlang der 2700 Kilometer langen „Mauer“ möglich. Das System aus verminten Sandwällen durchtrennt die Westsahara und verhindert quasi als Nebeneffekt auch die Flucht vom afrikanischen Kontinent auf die Kanaren.

Der UN-Generalsekretär empfand die Proteste aus Rabat als Angriff auf sich persönlich und die Vereinten Nationen (UN). Schließlich beschrieb er lediglich seinen Arbeitsauftrag den der Weltsicherheitsrat jährlich erneuert. Bereits 1991 wurde die UN-Friedenstruppe Minurso eingerichtet um ein Referendum über den zukünftigen Status der Westsahara abzuhalten. Die Abstimmung ist bis heute erfolgreich blockiert worden. Im Bündnis mit Frankreich ist es Marokko bisher sogar gelungen, dass das Mandat der Minurso als einzige UN-Mission keinen Auftrag zur Überwachung der Menschenrechtssituation enthält.

Mängel bei der Versammlungsfreiheit, bei der freien Meinungsäußerung bis hin zu Misshandlungen oder Folter? Auch die in der Westsahara eingesetzten Bundeswehrsoldaten sind zum Wegschauen verpflichtet. Die Bundesregierung wird daran nichts ändern wollen. Zu hoch die Gefahr, dass am Ende die Legende vom „sicheren Herkunftsland“ nicht durchzuhalten ist. Wer jedoch zum Umgang mit Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit schweigt, um die Flucht nach Europa zu stoppen, bekämpft in Wahrheit nicht Fluchtursachen sondern Flüchtlinge.

Bernd Eichner ist Nothilfereferent der Hilfs- und Menschenrechtsorganisation medico international in Frankfurt

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